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Die Lyrik des Epikers Günter Grass stand lange Zeit in dem zweifelhaften Ruf, "interpretationsfeindlich" zu sein. In ihrer Sinnlichkeit wie in ihrer Reflektiertheit verschlieÃen sich vor allem die frühen Gedichte dem flüchtigen Konsum. Da sind zum einen ihre idiolektischen Bilder, die die Geduld und die Findigkeit des Lesers herausfordern, da sind zum anderen die weiten Anspielungshorizonte, die Traditionszitate, das Kulturwissen, ohne deren Kenntnis dieser lyrische Kosmos oft abweisend wirkt. Der Leser findet deshalb im Kommentar neben lexikalischen Angaben zu Personen, geschichtlichen Ereignissen und Räumen, neben Bedeutungserklärungen zu historischem und regional bedingtem Wortmaterial sowie zu individuellen Sprachmustern Aufschluss über die Verweisungssysteme, die durch Zitate, Anspielungen, Imitationen und Transformationen einen Bedeutungsüberschuss erzeugen. Auch motivische, thematische, gedankliche oder ikonographische Beziehungen zum Gesamtwerk werden nachgewiesen, sofern diese zur Erhellung des Textverständnisses beitragen.
Mit Heißhunger wurde Der Butt nach seinem Erscheinen von den Lesern verschlungen, die der Schmalkost der Siebzigerjahre-Literatur überdrüssig waren - so Günter Grass selbst über den "geradezu überdimensionalen Erfolg" seines epischen Brockens. Aus dem Abstand von annähernd einem halben Jahrhundert möchte dieser Kommentar wieder Appetit machen auf den Roman und dazu die erforderlichen Zutaten bereitstellen: eingehende Erläuterungen zu den Figuren, zu politischen Hintergründen der Siebziger Jahre, zu damals wie heute bewegenden Gender-Fragen, zu historischen, kulturhistorischen und geschichtsphilosophischen Zusammenhängen, die in den menschheitsgeschichtlichen Episoden des Romans vom Neolithikum bis zum Danziger Werftstreik von 1970 Gestalt gewinnen und ein vielfach verflochtenes Themen- und Motivgewebe erzeugen. Für alle, die wissen wollen, wie man "a damn good novel" schreibt, dürfte von nicht geringerem Interesse sein, dass der Kommentar in der Entstehungsgeschichte bis zu den Anfängen zurückgeht und zeigt, mit welchen Strategien Grass eine veritable Schreibblockade überwand, wie er Methoden der Ideenfindung entwickelte und aberhundert Einzelinspirationen speicherte, bis endlich der Butt in die Reuse ging - ein glücklicher Fischzug, der den kreativen flow freisetzte.
Johann Matthias Schneuber? Daniel Czepko von Reigersfeld? Jesajas Rompler von Löwenhalt? - Selbst Berufsgermanisten dürften Schwierigkeiten haben, mit Dichter-Namen wie diesen auch nur annähernd konkrete Informationen zu verbinden. An die zwanzig barocke Poeten und Komponisten führt Günter Grass' Erzählung Das Treffen in Telgte auf Umwegen durch das verwüstete Deutsche Reich des Dreißigjährigen Krieges in einem münsterländischen Kaff zusammen, wo sie sich die Köpfe heiß diskutieren über die Zukunft der deutschen Sprache, die Fortentwicklung der deutschen Literatur und nicht zuletzt über die Vereinigung eines politisch, religiös und kulturell verfeindeten Landes zu einer deutschen Kulturnation. Fatal wäre es, wenn dieses kleine Meisterwerk wegen der historischen Distanz und der scheinbaren Fremdheit der auftretenden Figuren als zu sperrig abgetan und unter der - simulierten - Gelehrsamkeit des Autors verschüttet würde. Wie bei keinem anderen Grass-Werk steht deshalb hier die Kommentarbedürftigkeit außer Frage. Mit Hilfe des Kommentars, der die Figuren nahebringt, die kulturhistorischen Zusammenhänge erläutert, die Raffinesse des Erzählers aufzeigt und die Aktualität der Fragestellungen bewusst macht, wird deutlich werden, dass es hier um mehr geht als ein historisch und geographisch weit abgelegenes Dichter-Treffen und auch um mehr als eine Spiegelung der Gruppe 47, ihrer Sitzungen und ihrer Rituale. Ganz zu schweigen von dem "plaisir du texte", dem "Lesespaß", der sich einstellt, sofern man die Mühe nicht scheut, sich auf den "Schreibspaß" einzulassen, den ehedem der Autor empfunden hat.
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