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Der Preisträger des Dr. Leopold Lucas-Preises 2019, der britische Theologe und Kirchenhistoriker Diarmaid MacCulloch, ist ein international angesehener Kenner der Reformationszeit. Für den Kirchenhistoriker ist die Geschichte des Christentums zur Lebensaufgabe geworden. In seinem Festvortrag anlässlich der Verleihung hebt er hervor, dass ihn in seinen Forschungen immer wieder überraschte, wie wandelbar sich das Christentum durch die Jahrtausende zeigte. MacCullochs Ansatz ist deshalb so bedeutend, weil er die Geschichte der Reformation zwischen 1490 und 1700 nicht als jeweils nationalen, sondern als polyzentrischen, konfessionsübergreifenden Prozess im Europa der Frühen Neuzeit begreift. Dabei brachten unterschiedliche Kräfte eine Modernisierung voran, die zum einen die europäische Gesellschaft bis heute prägt und zum anderen mit der Idee der Gedankenfreiheit die Grundlage der Aufklärung und des modernen Denkens vorwegnahm.
In ihren Festreden anlässlich der Verleihung des Dr. Leopold Lucas-Preises des Jahres 2020 stellen Adam B. Seligman und Linda Woodhead ihre unterschiedlichen Ansätze zum Zusammenhang von Religion und Gesellschaft prägnant und anschaulich dar. Seligman zeichnet aus sozialpsychologischer Perspektive nach, wie das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe konstruiert und erlernt wird. Da gesellschaftlich geformte Kategorien die Selbst- und Weltwahrnehmung prägen, fordert die Begegnung mit Angehörigen anderer Gruppen immer auch die eigene Selbstwahrnehmung heraus und kann Unbehagen auslösen. Er problematisiert verschiedene gängige Strategien, dieses durch Differenzerfahrung ausgelöste Unbehagen aufzulösen und plädiert schließlich dafür, dass Angehörige verschiedener Religionsgemeinschaften in einer religiös pluralistischen Gesellschaft dazu bereit sein müssen, dieses Unbehagen auszuhalten und sich eines Urteils über die Weltsicht der anderen zu enthalten. Linda Woodhead befasst sich in ihrer Rede mit dem Bedeutungsverlust christlicher Religion in den liberalen Demokratien des Westens. Dieser Bedeutungsverlust ist nach ihren soziologischen Forschungen nicht gleichzusetzen mit einem Ende der Religion, vielmehr übernehmen moralische Werte Funktionen der Religion. Diese Religion der Werte zeichnet sich durch einen Fokus auf Selbstverwirklichung aus, während altruistische Wertvorstellungen parallel zum Christentum an Bedeutung verlieren. Die historischen Wurzeln für diese Entwicklung sieht Woodhead in einer zunehmenden Moralisierung des Christentums, die Religion stark oder ausschließlich über Werte definiert. In der Folge absorbieren Wertüberzeugungen Funktionen der Religion, prägen das Identitätsgefühl und Wahrnehmungen der Zusammengehörigkeit und Differenz. Dagegen können viele spirituelle Bedürfnisse weder von den moralisierten Religionen noch von der neuen Wertereligion erfüllt werden. Dadurch lässt sich das (Wieder-)Auftauchen vieler spiritueller und magischer Praktiken erklären.
Die Preisträgerin des Dr. Leopold Lucas-Preises des Jahres 2022 Maren Niehoff gibt in dieser Preisrede exemplarischen Einblick in ihre innovativen Studien zum Verhältnis von jüdischer und hellenistischer Kultur in der Antike. Anhand der Rezeption Alexanders des Großen in der griechisch-römischen, jüdisch-hellenistischen und rabbinischen Literatur zeigt sie paradigmatisch die Wechselbeziehungen und Aushandlungsprozesse zwischen Judentum und Hellenismus. Sie zeigt, dass Judentum und Hellenismus sich im Laufe der Spätantike nicht etwa voneinander trennen, sondern sich weiterhin im politisch-kulturellen Rahmen des Römischen Reiches gegenseitig befruchten. Die verschiedenen jüdischen Autoren verorten sich mit ihrer Alexanderdeutung individuell je neu in diesem komplexen Dreiecksverhältnis und können nicht einfach auf feste ethnische oder religiöse Schemata reduziert werden. Damit streicht Niehoff über die konkrete Epoche hinaus die Bedeutung und die Verantwortung des Individuums nachdrücklich heraus.
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